Tito, Koki, ich – und alle anderen

Österreichisch-ungarische Doppelmonarchie, italienischer Faschismus oder sozialistisches Jugoslawien: Rijeka hatte seit dem Mittelalter verschiedene Staatszugehörigkeiten – nicht immer freiwillig. In Reportagen spüre ich den unterschiedlichen Epochen nach. Heute: Ein Vogel, der Jugoslawien überlebt hat.

Tito ist seit 40 Jahren tot, aber Koki lebt. Koki ist 62 Jahre alt, hat hellblaue Augen und weißgelbe Federn. Der Kakadu war einst ein Geschenk des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Tito an seine Enkelin Aleksandra. Heute lebt der Vogel auf den Inseln Brijuni, wo ihm unzählige Touristen jeden Tag das Wort Tito entlocken wollen. Oder wenigstens Koki. Zeit für einen Besuch. Bei Koki. Und bei Tito.

Die Reise beginnt bei 30 Grad um 9 Uhr morgens. Sie beginnt in Fažana, einem kleinen Küstenort in Istrien, der den Nationalpark Brijuni, einem Archipel aus 14 Inseln, mit dem Festland verbindet.

Auf der Homepage des Parks heißt es in der charmanten und nicht immer fehlerfreien deutschen Fassung: Das Brijuni Archipel bietet viele Sehenswürdigkeiten und Attraktionen. Ein kleiner Teil der Geschichte der Insel ist auf der Website zu finden. Für eine ausführliche Bekanntmachung müssen Sie die Inseln besuchen.

Na, gut!

Hafen von Fažana, dahinter schon klein Brijuni

Die Schiffe legen stündlich ab, und sie sind voll. Ich höre Italienisch, Französisch, Deutsch. Auch eine kroatische Schulklasse ist an Bord. Die Fahrt zur größten Insel Veliki Brijun dauert 15 Minuten. Ich male mir mein Treffen mit Koki aus. Die Brijuni-Homepage nennt ihn halb-jahrhundertjähriges Schlitzohr und verspricht: Er spricht, stellt sich zur Schau und will manchmal sogar Hände schütteln.

Wie schüttelt einem ein Kakadu die Hände?

Die Frage bleibt offen. Am Hafen von Brijuni begrüßt mich nicht Koki, sondern ein Schild, das auf die Spuren von Dinosauriern hinweist. Es ist nicht so, als wäre Tito der erste auf Brijuni gewesen – eher der letzte. 

Die ersten waren also die Dinos: Diese uralte Reptile sollen auf Brijuni vor 130-100 Milionen Jahre gelauft haben, heißt es auf der Homepage.

Auch die Römer siedelten auf Brijuni, aus dem Mittelalter wiederum gibt es Spuren eines Klosters. Bis Ende des 18. Jahrhunderts gehörten die Inseln zur Republik Venedig, danach wurden sie Teil des österreichischen Küstenlandes.

1893 kaufte die Inseln der österreichische Industrielle Paul Kupelwieser – und benötigte erstmal die Hilfe des deutschen Mediziners Robert Koch. Die Inseln waren nämlich von Malaria befallen, und Koch reiste an, um den Grund zu erforschen: die Anopheles-Mücke. So wurde die Krankheit auf Brijuni ausgerottet. Deswegen findet sich dort heute ein Denkmal für Koch.

Kupelwieser machte aus Brijuni einen mondänen Kurort, der Anfang des 20. Jahrhunderts den europäischen Adel anzog. Mit der Unterstützung des Hamburger Zoodirektors Carl von Hagenbeck wurden Tiere angesiedelt – von Straußen bis Flamingos. Nach dem Ersten Weltkrieg kamen die Inseln zu Italien, im Zweiten Weltkrieg zerstörten die Nazis einen Großteil der Gebäude.

Ab 1947 schließlich nahm sich Tito als jugoslawischer Staatschef der Inseln an und machte sie zu seiner Residenz. Er empfing dort Promis und Staatschefs, für die Bevölkerung aber war der Zutritt verboten. Erst 1985 wurden die Inseln wieder für die Öffentlichkeit zugänglich, fünf Jahre nach Titos Tod 1980.

Wo aber ist denn jetzt Koki?

Ich erspähe eine Voliere, aber sie ist leer. Wieder ein Schild:

Dann erstmal eine Runde um die Insel. Ich gehe zu einem der kleinen weißen Züge, die die Besucher über die Insel karren, an Bord ein Tourguide, der die Menschen nach Sprachen sammelt. Es gibt englische, kroatische, italienische und deutsche Touren. Ein Schild im Zug verkündet: Verboten zu essen auf den Zug! Zum Durchhalten prangt außen ein Foto von Koki.

Ich habe mich der englischen Gruppe angeschlossen, in der Hoffnung den Deutschen zu entkommen, aber nun sitzt neben mir eine Familie mit süddeutschem Dialekt. Mutter, Vater, kleines Mädchen, Säugling.

Beschwerden folgen bald.

Mutter: Die rattert des alles so runter! 

Vater: Des mache die immer!

Tatsächlich ist die Stimme der Frau, die beschreibt, was wir sehen, recht monoton. Der Inhalt auch. Es geht irgendwie immer um Tito, auch wenn wir den natürlich nicht sehen. Aber alles hier hat noch mit ihm zu tun. 

Wir kommen an einem dunkelgrünen Auto in einer durchsichtigen Garage vorbei.

Tourguide: This is Cadillac of Tito! Tito had many important guests on Brijuni, over 90 presidents and filmstars like Sofia Loren, Richard Burton and Elisabeth Taylor!

Der Cadillac war ein Geschenk jugoslawischer Auswanderer aus Kanada. Auf der Brijuni-Homepage wird der Wagen (neben Koki) als Sehenswürdigkeit gelistet: Der Wunsch fast aller Besucher des Nationalparks ist, Titos Cadillac (…) zu fahren.

Keiner fragt allerdings, ob er mal fahren darf, der Zug ist auch schon um die Ecke gebogen.

Wir kommen an alten Villen vorbei, die heute von der kroatischen Regierung für Staatsempfänge genutzt werden, wie die Führerin erklärt. Zur Sicherheit wiederholt sie: Tito had many important guests on Brijuni, over 90 presidents and filmstars like Sofia Loren, Richard Burton and Elisabeth Taylor!

Dann sind wir im Golfpark. Ein Danger-Schild warnt vor herumfliegenden Bällen. Ich ducke mich instinktiv.

In den 1920er Jahren war die Golfanlage auf Brijuni die größte in Europa, Turniere fanden statt, viele reiche Menschen kamen. Trotzdem und vielleicht auch deswegen war die Insel bald überschuldet – Carl, der Sohn von Ferdinand Kupelwieser, beging daher Selbstmord.

Ich frage mich, ob hier heute überhaupt Golf gespielt wird, bis ich einen Mann im Gebüsch entdecke: Er trägt Schiebermütze, stützt sich mit den Händen auf seinem Schläger ab und schaut in die Ferne. Das macht mich sofort müde.

Im Zug nun Aufregung.

Tourguide: Now we enter Safari-Park! Tito liked animals, he received many animals as gift!

Einige der Tiere sind inzwischen im Naturkundemuseum der Insel zu finden – ausgestopft. After natural death, versichert die Führerin. Ein Teil der Tiere wurde auch in den Zoo von Zagreb gebracht. Im Safari-Park sind aber immer noch genügend zu sehen.

Tourguide: This is Shetland Pony! It was gift from … Elisab ….

Der letzte Teil ihres Satzes wird verschluckt, als die Zebras auftauchen. Endgültige Ekstase, als auch Lanka zu sehen ist, einer von zwei Elefanten, den Tito 1972 von der indischen Premierministerin Indira Gandhi bekommen hat. Der andere, Sony, ist 2010 gestorben. 

Mutter: Schau mal Pauline, dieser Rrrrrüssellll! 

Völlig unter gehen die istrischen Rinder, Schafe und Esel. Dabei hieß es auf der Brijuni-Homepage doch: Diese sympatissche Bewohner des Safari-Parks muntern alle auf.

Die Führerin verkündet stattdessen: 10 minutes break!

Wieder Freude im Zug. Eis für die Kinder, Kaffee für die Erwachsenen, viele Selfies. Während die Gruppe sich zwischen Elefant und Café verteilt, nähere ich mich der Führerin.

I’m sorry, was the Shetland Pony from Queen Elisabeth or Elisabeth Taylor? So many Elisabeths with Tito here, haha.

Sie lacht nicht. From the Queen. The Queen of England!

Ah, yeah, okay. And isn’t it annoying talking about Tito all the time?

Sie runzelt die Stirn. Keine Antwort.

Äh, are there many questions about Tito?

Sie nickt entschlossen. Yes, many questions about Tito!

Die Frage stellt sich natürlich schon: Wer war Tito eigentlich?

Tito kam jedenfalls nicht als Tito zur Welt, sondern als Josip Broz. Den Tarnnamen Tito erhielt er als Kommunist im politischen Untergrund.

Er wurde 1892 in dem kroatischen Dorf Kumrovec geboren, das damals zu Österreich-Ungarn gehörte. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er für die Habsburger gegen Serbien und geriet in russische Kriegsgefangenschaft. Danach unterstützte er die Bolschewiki in der russischen Oktoberrevolution. In den 1920er-Jahren kehrte er nach Jugoslawien zurück und engagierte sich bei den Kommunisten, in den 1930er-Jahren im Spanischen Bürgerkrieg. Im Zweiten Weltkriegs führte er den Widerstand der Partisanen gegen die faschistische Besatzung an.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er Staatsoberhaupt der Volksrepublik Jugoslawien, dem einzigen kommunistischen Land mit Reisefreiheit. Tito, der mit Stalin brach, ging den so genannten Dritten Weg und positionierte sich somit zwischen Ost und West. Er gründete zusammen mit Ägypten, Indien und Indonesien die Bewegung der Blockfreien Staaten, die sich für Frieden und Abrüstung einsetzte und die Blockbildung im Kalten Krieg verurteilte. Fast 30 Staaten gehörten ihr an. Sie existiert bis heute – hat aber an Bedeutung verloren.

Tito mit Friedenstaube

Jugoslawien faszinierte damals viele Politiker und Intellektuelle – auch Urlaub machten viele Menschen in dem Land. In der lesenswerten Analyse Die Geschichte Jugoslawiens der Münchner Historikerin Marie-Janine Calic wird ein österreichischer Tourist mit den lakonischen Worten zitiert:

Wir fahren an das Meer und nicht zum Kommunismus.

Denn, ja: Trotz der Friedensbemühungen war Jugoslawien ein kommunistischer Ein-Parteien-Staat. Und kein Land mit freien Wahlen oder freier Meinungsäußerung. Auch hier wurden wie in anderen kommunistischen Diktaturen politische Gegner verfolgt. Berüchtigt war die Insel Goli Otok, ein Gefangenenlager für politische Häftlinge, auf der gefoltert und getötet wurde und das auch schon mal zynisch „Titos KZ“ oder „kroatisches Alcatraz“ genannt wird. Es wurde 1988 stillgelegt.

Zurück im Zug geht es allerdings nicht um die Geschichte Jugoslawiens oder eine kritische Betrachtung der Rolle Titos. Es geht um viel profanere Dinge.

Obwohl ich vorhatte, mich woanders hinzusetzen, lande ich wieder neben der Familie.

Mutter: Pauline, hast du Kacka in der Windel?

Vater: Hast du Kacki gemacht, Pauline?

Pauline schweigt.

Mutter: Sollen wir dir die Windel wechseln im Stehen?

Ich mit Schreckgesicht, Pauline mit mysteriösem Grinsen. Ich versuche, die Antwort zu riechen. Ich rieche nichts. Die Eltern schreiten nicht zur Tat.

Inzwischen tuckern wir an den Überresten römischer Tempel vorbei, die Sonne brennt, das Meer glitzert. Wir fahren durch breite Alleen, ein botanischer Garten, ein Tennisplatz, viele alte Bäume und noch ältere Bäume.

Tourguide: This is olive tree! It is 1600 years old. We still make olive oil!

Brijuni ist wirklich ziemlich schön. Und die Zugfahrt ist schon fast vorbei.

Was ist mit Koki?

Er fliegt nicht an uns vorbei. Aber die Führerin sagt: We also have Koki, Kakadu of Tito! He is in bird park. He can say Tito and his name. He is 62! 

Ein Vogelrentner also. Mein Verdacht, dass das hier schon lange nicht mehr Titos Kakadu ist und sie ihn regelmäßig gegen einen neuen Vogel austauschen, verflüchtigt sich. Und die Frau sagt schon wieder ihren Lieblingssatz: Tito had many important guests on the island, over 90 presidents and filmstars like

Ab und an variiert sie die Namen. Luciano Pavarotti zum Beispiel war auch schon da. Und die Promis kommen auch heute noch – ohne Tito.

Angelina Jolie, Salma Hayek, Naomi Campbell, zählt die Frau auf.

Ich beschließe, mir Tito und all die important people endlich anzusehen. So wie man einen Ohrwurm einmal zu Ende hören muss, um ihn loszuwerden.

In dem alten Gebäude neben Titos Cadillac finden sich drei Ausstellungen: Titos ausgestopften Tiere, Fotos von Tito auf Brijuni und die Aufzeichnungen von Paul Kupelwieser, der auf der Brijuni-Homepage neben Tito (und Robert Koch) gelistet ist unter: Persönlichkeiten, die Sie kennenlernen müsenn. 

Ich bleibe bei Tito.

Und laufe also erstmal durch seine ausgestopften Tiere. Gorillas, Panther und Löwen hinter Glasscheiben. Die Homepage mahnt: In der heutigen hektischen Zeit, wenn wir uns der Tatsache bewußt sind, dass auf unserem Planeten täglich mehrere hunderte Pflanzen- und Tierarten aussterben, sollte man wenigstens einen Augenblick lang vor der Schönheit der Natur stillstehen.

Schon gut …

Im zweiten Stockwerk schließlich startet die Fotoausstellung zu Tito.

Und hier ist er also – mit all den important people.

Mit Sofia Loren, die irgendwie nicht ihr bestes Fotogesicht aufgesetzt hat:

Mit Queen Elisabeth:

Mit Willy Brandt …

… und Walter Ulbricht

Mit Muammar al-Gaddafi …

… oder Fidel Castro:

Auf Brijuni übte Tito einen wesentlichen Teil seiner staatlichen und politischen Aktivitäten aus. Bei neunzig Treffen sprach er mit  Präsidenten, Königen und Kaisern aus 60 Ländern, und er traf sich mit Präsidenten von Regierungen und Ministern in ungefähr hundert Ländern der Welt, heißt es auf der Homepage.

Am liebsten scheint Tito allerdings Raubkatzen gehabt zu haben:

Woraus wohl der Mantel seiner Frau Jovanka gemacht wurde?!

Außerdem frage ich mich: War Max Frisch etwa auch auf Brijuni?

Nein, das ist immer noch Tito.

Die untenstehende Huldigung macht jedenfalls unmissverständlich klar, dass er den Kaffee für seine Gäste selbst gekocht hat …

Gegen Ende werde ich nostalgisch.

Die Politik mal beiseite gelassen: Sah damals nicht alles besser aus? Die Klamotten, die Frisuren? Selbst die Bars und die Kamele?

Damals: Bar im Hotel Neptun auf Brijuni
Wildes Getier auf Brijuni zu Titos Zeiten

Draußen falle ich ins Mittagstief, die Sonne brennt auf meinen Kopf.

Was tun?

Vor mir taucht der Souvenirshop auf.

Und dann geschieht das Unglaubliche.

Ich kaufe mir ein Koki-T-Shirt. 

Und Koki-Schnaps.

Und ein Koki-Schnapsglas!

Was ist nur los mit mir?!

Ich laufe zum Hotel. Wenn ich Brijuni schon besuche, dann bleibe ich auch über Nacht. Die Homepage hat mich neugierig gemacht.

Es ist interessant, dass eine große Anzahl von Gästen der Dependance Neptun ausschließlich nicht klimatisierte Zimmer sucht, um den österreichisch-ungarischen Geist voll und ganz zu erleben, und hier können sie es bekommen.

Keine österreichisch-ungarischen Geister im Zimmer, aber viel Platz. Im Kleiderschrank könnten sich problemlos sechs Menschen verstecken. Selbst für eine Vogelvoliere wäre noch eine Ecke übrig.

Das Bad dagegen sieht aus wie in einer Psychiatrie aus dem vorigen Jahrhundert. Blassgelbe Kacheln, sehr hoher Wannenrand. Der Spülkasten der Toilette wird per Schnur betätigt. Es fehlt eigentlich nur eine Leiche.

Habe ich einen Sonnenstich?

Ich prüfe die Minibar, die hat normale Größe. Weißwein auf dem Balkon, dann schlafe ich ein. 

Schon später Nachmittag. Koki suchen? Ich beschließe, dafür ein Fahrrad auszuleihen. Und ich bin nicht die Einzige.

Der Franzose hinter mir drängelt so sehr, dass er mir seinen Kinderwagen in die Fersen rammt. Vielleicht hat er sich wie ich vorher auf der Homepage informiert und nun Angst, zu kurz zu kommen?

Es ist nicht verwunderlich, dass es trotz der etwa 300 zur Verfügung stehenden Räder, in der Hochsaison immer noch einige Räder fehlen.

Ich bekomme aber ein Rad, und der Franzose eines dieser elektrischen Caddys, von denen ich dachte, die fahren nur Golfspieler. Sie sind beliebt hier.

Ich suche also den bird park. Und stelle mir Koki auf einem hohen alten Baum vor. Bestimmt wählt er genau aus, zu wem er am Ende Tito sagt. Vielleicht kann er sogar Alexandra sagen? Die Enkelin von Tito hieß doch so.

Wieder muss ich über den Golfplatz. Wieder warnt ein Schild vor den Golfbällen. Ich fahre schnell und geduckt – alles für Koki. 

Und da ist der Eingang: bird park.

Ich biege um die Ecke und sehe ihn sofort: Den Pulk Touristen vor dem Gehege.

Wie habe ich glauben können, dass Koki hier frei und unbehelligt herumfliegt?

Ich warte im Abseits. Der Vogel hat sich in das Gitter gekrallt und betrachtet die Kinder und Erwachsenen vor ihm. Klettert ein bisschen hoch, klettert ein bisschen runter, mal zur einen Seite, mal zur anderen. Im Käfig neben ihm ein großer roter Papagei, für den sich niemand interessiert, obwohl er alles gibt.

Die Menschen rufen nur: Koki, Koki! Tito, Tito! 

Und Koki gibt immer mal wieder ein Geräusch von sich, aber ich verstehe ihn nicht, höre nur die Leute vor ihm. Neben denen wiederum sitzt ein Mann in einem der Elektrocaddies. Er redet auf Kroatisch auf sie ein und schlägt dabei einmal erzürnt auf sein kleines Armaturenbrettchen.

Ich verstehe kein Wort, ahne aber, dass er ruft:

Jetzt lasst doch mal den armen Vogel, der ist eh schon verrückt! Fahren wir lieber zurück in unsere österreichisch-ungarischen Zimmer und trinken einen Schnaps auf die aussterbenden Pflanzen und Tiere oder von mir aus auch auf Sofia Loren oder Richard Burton oder Elisabeth Taylor ODER DAS SHETLAND PONY VON DER QUEEN, aber jetzt kommt endlich!!!

Ich warte, bis alle weg sind.

Schaue mir bis dahin die Pfauen und die Enten an.

Höfliches Schweigen.

Dann gehe ich zurück zu Koki. Freie Bahn. Er hängt immer noch am Gitter.

Und er sieht mich freundlich an.

Kann ein Vogel freundlich gucken?

Nun, es sieht freundlich aus.

Ich hole mein Telefon zum Fotografieren. Und Koki posiert.

Erst von der Seite.

Dann von vorne.

Und dann sage ich es.

Ich sehe den alten Kakadu an und sage: Koki!

9 Gedanken zu „Tito, Koki, ich – und alle anderen“

  1. Ein Raubkatzenmantel, ein Diktator, ein Papagei im Kakaduschatten, eine Königin und ein bisschen Kacka. Und gelernt habe ich auch noch was. Also ehrlich: Respekt!

  2. Was für eine tolle Idee, anhand von Koki etwas über Tito zu erzählen. Ich habe durch die Reportage viel Neues erfahren – und Spaß hat es auch gemacht. Vielen Dank! Überhaupt finde ich die Reportagen über die Zeitepochen der Stadt sehr spannend.

    Mit Rijeka geht es mir dank des Blogs ein bisschen wie mit einer Prominenten. Die Stadt ist mir vertraut – ich kenne etwas von ihrem Werdegang und ihren Eigenheiten. Dabei habe ich sie noch nie getroffen. Vielleicht ändert sich das einmal, wenn Corona vorbei ist.

    Wegen der Artikel ist die Stadt jedenfalls auf meiner inneren Landkarte voll angekommen. Neulich habe ich das Buch „Grand Tour – Reisen durch die junge Lyrik Europas“ geschenkt bekommen. Darin Gedichte von wohl Hundert jungen Dichter*innen aus Europa – ein halbes Dutzend aus Kroatien. Dann hab ich gleich gesucht: Gibt es denn jemanden aus Rijeka? Und mich wie Bolle gefreut, als ich einen Ivica Prtenjaca entdeckt habe. Wie du siehst: Rijeka ist nun etwas, nachdem ich Ausschau halte 🙂

    1. Liebe Kristin, wie wunderbar – und siehst Du, von Ivica Prtenjaca habe ich noch gar nichts gehört, vielleicht muss ich den noch ausfindig machen! Dass Rijeka für Dich wie ein Promi ist, gefällt mir natürlich auch. Ich schau mal, was ich noch an Klatsch und Tratsch auftun kann … Und eins ist eh klar, wenn das Reisen wieder einfacher ist, musst Du die Stadt live sehen, ich spiele dann gerne Reiseführer.

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