Jedes Mal wenn ich vorbei laufe, erschrecke ich. Vor allem in der Dämmerung. Der beobachtet mich doch! Wie er da so lässig am Brückengeländer lehnt …
Aber da steht keiner, da steht nur ein Denkmal: für den Schriftsteller Janko Polić Kamov. Und der ist lange tot: 1886 geboren und schon 1910 gestorben. Mit 24 – unter mysteriösen Umständen in Barcelona.
Ein früher ungeklärter Tod im Ausland, ein rebellischer Charakter und ein (literarisches) Werk, das zu Lebzeiten keinen interessiert: Das sind wohl die klassischen Voraussetzungen für ewigen Ruhm.
Kamov jedenfalls ist Rijekas Literaturidol schlechthin. Der Name begegnet mir in der Stadt überall:
Und, ja, sogar an meiner in die Jahre gekommenen Schlafzimmertür klebt der Name des guten Mannes. (Vermutlich hat man es geschafft, wenn Klebeband mit dem eigenen Namen versehen ist.)
K wie Kamov wie Künstler: Meine Unterkunft – eine Residenz für alle möglichen Kunstschaffenden aus dem In- und Ausland – ist nämlich nach ihm benannt.
Wer also war dieser Kamov?
Seine Werke werden gern mit Albert Camus, Arthur Rimbaud oder J.D. Salinger verglichen.
Camus: Gilt als Vordenker des Existenzialismus und rauchte sehr viele Zigaretten. Starb aber bei einem Autounfall.
Rimbaud: Galt als enfant terrible, das seine Zeitgenossen verachtete, starb mit 40 und hatte großen Einfluss auf die moderne Lyrik.
Salinger: Starb nicht früh, aber gilt als menschenscheues Genie. Schrieb neben ein paar Erzählungen den Weltklassiker „Fänger im Roggen“ und zog sich danach einfach aus der Öffentlichkeit zurück.
Kamov wiederum, der in Rijeka geboren wurde, lehnte sich gegen die Ungarn auf, die die Stadt seit Mitte des 19. Jahrhunderts als Teil der Habsburger Monarchie verwalteten. Schon als Schüler saß er drei Monate im Gefängnis.
Außerdem soll er ständig Streit mit seinem Vater gehabt haben.
Man kann also davon ausgehen, dass er ziemlich oft ziemlich wütend war.
Seine Werke jedenfalls gelten für die damalige Zeit als ungewohnt kritisch und zornig gegenüber seinen Zeitgenossen. Neben Gedichten schrieb er den Roman Isušena kaljuža (ist bislang leider nicht ins Deutsche übersetzt), der als Vorläufer existenzialistischer Prosa gilt. Das Buch wurde allerdings erst 1957 gedruckt, lange nach Kamovs Tod. Aber er bescherte ihm den Ruf als großen Rebellen in der kroatischen Literatur.
Von seinem sanften Lächeln am Mrtvi Kanal in Rijeka sollte man sich also nicht täuschen lassen.
Ein Auszug aus seinem Gedicht Tag der Toten:
Die Feder ist meine Posaune:
schwarz sind eure Werke, ihr Toten;
schwarz wie Sokrates‘ Liebe und abstoßend
wie der Körper eines Asketen;
ungeheuerlich sind eure Verbrechen,
für sie gibt es keine Vergebung;
es gibt keine Vergebung,
der Würfel ist für euch gefallen;
eure Seelen sind tot – tot ist eure Auferstehung!
die Feder ist meine Posaune,
und im Kosmos hallt sie wider;
die Ewigkeit lächelt – die Erde ist nicht tot;
die Kreuze zerbrechen, und die Zeit zerstört
die Gruften der Toten –
anmaßend ist mein Gedicht;
die Lebenden sollen leben!
Ich dachte sofort: Aha, da geht es um den Ersten Weltkrieg! Dann fiel mir auf, dass Kamov 1910 starb. Und der Erste Weltkrieg 1914-1918 war …
Vielleicht hatte er eine dunkle Vorahnung?
Die Schwermut jedenfalls trägt seine Texte:
In der großen Stille, wo der Erde Atem schlummert, schließt eine unsichtbare Hand ihr langsam die Augen, in der großen Stille, wo der Erde Atem schlummert, und sie in Melancholie bei jeder Frage verstummt – Weiß Gott wohin jener feurige Freier gegangen ist, seine Liebe war wie ein Kuss aus männlicher List. Er wird wieder kommen, auch der Kuss kehrt zurück, Liebe ist vergängliches Glück.
Phantasie und Gedanken werden müder und stiller und das Alter geht träge und ohne Liebesgefühle.
(In der Nacht)
Sehr anschaulich beschrieben! So macht Geschichte Spaß! Freue mich schon auf den nächsten Beitrag. 🙂