Dreimal ins Kino, einmal um die Welt

Wie muss man sich die Drogenszene im Iran vorstellen, was macht PJ Harvey in Washington D.C., und wie homophob ist Südafrika?

Rund um Rijeka reiht sich gerade ein Filmfestival ans nächste. Zum Beispiel vergangene Woche das RIFF (Rijeka Film Festival) im Art Kino, wo die Betreiber extra für mich die englischen Untertitel haben mitlaufen lassen. Danke dafür!

Drei Filme sind mir aufgefallen, drei Filme, die mich einmal um die Welt geführt haben.

Just 6.5 von Saeed Roustayi

Worum geht’s?

Drei Drogencops in Teheran suchen einen Drogenboss – und finden ihn auch. Aber dann fängt das Spiel erst an.

Warum ist das gut?

Weil es zwar unzählige Serien und Filme über Drogenkartelle gibt, von Narcos über Gomorrha bis zu den Sopranos, man hier aber etwas Neues sieht. Nämlich mal nicht Südamerika, Italien oder die USA. Sondern den Iran.

Außerdem: Kein Rumgeballer, kein Blutverspritzen – keine Popkultur. Mal ehrlich: Die meisten Mafia-Serien sehen ja ziemlich cool aus.

Hier?

Ausgemergelte Männer, schreiende oder weinende Frauen, verlassene Kinder, überfüllte Gefängnisse, Junkies, Junkies, Junkies. Und dazwischen das perfide Spiel der Ermittler mit dem Drogenboss – oder spielt er mit ihnen?

Es gibt viel Dialog, man muss schnell sein beim Untertitel mitlesen!

Ach so, einen Richter gibt es auch.

Und ja, wir sind in einem Land, in dem noch die Todesstrafe gilt.

Der Film hatte vergangenes Jahr beim Filmfestival in Venedig Premiere und die Kritiker begeistert. Er hat völlig zurecht verschiedene Preise gewonnen. Bleibt zu hoffen, dass er auch nach Deutschland kommt.

Und was bedeutet der Titel?

Just 6.5 = „Nur 6,5 Kilo“ – konfisziertes Heroin. Oder war es mehr, und die Cops haben was eingesteckt? Außerdem: In Iran gibt es rund 6,5 Millionen Drogenabhängige. Bei einer Bevölkerung von rund 81 Millionen.

A Dog Called Money von Seamus Murphy

„Ein Hund namens Geld“?!

So heißt ein Song der britischen Musikern PJ Harvey (50), der im Laufe dieses Films entstehen wird. Denn der Film begleitet Harvey dabei, wie sie wiederum den Fotografen Seamus Murphy auf seinen Recherchereisen im Kosovo, in Afghanistan und in Washington D.C. begleitet.

Wie muss man sich das vorstellen?

PJ Harvey ist meistens sehr dick angezogen (im Kosovo und in Afghanistan ist während der Dreharbeiten Winter), sie bekommt öfter mal eine Tasse Tee von den Einheimischen, und sie hat immer ein Notizbuch dabei. Darin landen Beobachtungen und Fragmente für Songtexte. Zurück in London macht sie daraus ein Album.

Das Besondere: Die Aufnahmen des Albums sind öffentlich, eine sogenannte recording installation. Harvey und die Band stehen in einem schallisolierten Raum mit blinden Scheiben – sie sehen also sich selbst im Spiegel, während draußen das Publikum sitzt. (Ein bisschen wie Verdächtige auf Polizeistationen, die nicht sehen können, wer sie da gerade versucht, wiederzuerkennen.)

Also eine Mischung aus Musik und …? Ja, was? Dem Elend der Welt?

Ja und Nein.

Ja: Harvey steht in den Resten von Häusern im Kosovo herum, aus denen Familien fliehen mussten, sie besichtigt Kriegsruinen in Afghanistan, sie besucht die schwarze Community im Washingtoner Stadtteil Anacostia und lässt sich erzählen, wie viele hier schon Opfer von Gewalt wurden.

Nein: Es gibt auch viele heitere Szenen. Letztlich ist es die Musik, die Harvey mit all den unterschiedlichen Menschen verbindet, die sie trifft. Immer wieder spielen oder singen ihr Leute etwas vor. Oft hört Harvey einfach nur zu. Die Bilder von Murphy sprechen für sich und nehmen den Zuschauer mit in Teile der Welt, die man nur aus den Schlagzeilen kennt.

Ein aufwühlender Film, der zeigt, wie wichtig es ist, immer mal wieder aus der eigenen privilegierten Blase, in der ja auch Harvey lebt, herauszukommen.

Ach so: Die Musik ist großartig!

„Moffie“ von Oliver Hermanus

Was bedeutet denn Moffie?

Moffie ist Afrikaans und in Südafrika eine abwertende Bezeichnung für Männer – und zwar nicht nur für Homosexuelle, wie Regisseur Oliver Hermanus dem Publikum in Rijeka per Videochat erklärte, sondern auch für Heteros, denen damit ihre Männlichkeit abgesprochen wird. Das Wort macht also schon deutlich, dass es ein großes Problem in Südafrika gibt. Mit Homophobie. Und mit der Rolle des Mannes.

Hermanus erzählte, dass der Film, der während des Corona-Lockdowns im Frühjahr herauskam und nicht im Kino gezeigt werden konnte, als Streaming-Angebot oft heruntergeladen wurde. Seiner Vermutung nach setzen sich die Menschen in Südafrika lieber zuhause mit dem Thema auseinander – dort also, wo sie keiner sieht.

Und worum geht es in dem Film?

Moffie spielt 1981 in Südafrika während der Apartheid – eine weiße Minderheit herrscht über die schwarze Bevölkerung des Landes. Alle weißen jungen Männer über 16 müssen zum Militär, um das Regime gegen Feinde (wie den Kommunismus) zu verteidigen. Der Film basiert auf dem Roman Moffie: A Novel von André Carl van der Merwe, der darin seine Zeit als Schwuler bei der Armee während des südafrikanischen Grenzkrieges (1966-89) beschreibt.

Nicholas van der Swart heißt der Protagonist, den der südafrikanische Schauspieler Kai Luke Brummer eindringlich verkörpert. Im Grunde spielt sich der ganze Film in seinem Gesicht ab.

Und mit dem Pornomagazin, das sein Vater ihm kurz vor dem Beginn des Wehrdienstes stolz in die Hand drückt, kann er nichts anfangen. Nicholas mag Männer und verliebt sich bald in einen seiner Kollegen. Das ist der schöne Teil dieses bildgewaltigen Films, und das ist der geringste Teil.

Der Film zeigt ein menschenfeindliches Regime und einen widerlichen und zynischen Militärapparat, in dem Homosexualität aufs Brutalste verfolgt wird.

Mehr soll gar nicht verraten werden.

Dann noch ein Wort zum Schluss?

Herzzerreißend.

(Wie ich sind die meisten während des Abspanns sitzengeblieben.)

3 Gedanken zu „Dreimal ins Kino, einmal um die Welt“

  1. Liebe Frau Alexandra,
    danke für den flippy-floppi-Gang durch die Filmhandlungen. Die Mischung aus filmischer Betrachtung und herzzerreißenden Gefühlen kommt sicherlich gut an. Weiter so, nur manchmal stimmen die Übergänge nicht ganz!

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