Darf man Bücher kaufen, nur weil einem das Cover und der Titel gefallen? Ich sage: Aber klar! Und in dem Fall konnte ich natürlich nicht widerstehen:
Das Gute an dieser rein ästhetischen Entscheidung: Der Roman My Cat Yugoslavia von Pajtim Statovci ist so klug und komisch, so böse und zynisch, so traurig und versöhnlich, so verschlüsselt und direkt, dass ich sagen würde, ich bin da auf ein kleines Meisterwerk gestoßen.
Statovci, der 1990 geboren wurde, hat dafür jedenfalls völlig zu Recht einen finnischen Literaturpreis für das beste Debüt bekommen. Der Roman erschien in Finnland schon 2014. Statovci war damals also gerade mal 24.
Moment, Finnland? Jugoslawien? Eine Katze?
Was ist da los?
Sagen wir so: auch eine Boa-Constrictor spielt eine Rolle in diesem Buch …
Bekim, der Protagonist, kauft sich als Haustier nämlich eine Würgeschlange. Weil er glaubt, dass sie in ihrem Terrarium traurig ist, darf sie frei durch die Wohnung kriechen, weswegen Gäste lieber schnell das Weite suchen. (Manche fragen vorher, ob die Schlange sich vielleicht in der Toilette versteckt.)
Viele Gäste aber sind es nicht, die kommen.
Bekim ist Anfang der Neunziger Jahre mit seiner Familie vor dem Krieg zwischen Serben und Kosovoalbanern aus Jugoslawien nach Finnland geflohen. Freunde hat er dort nie gefunden, Kontakt zu seiner Familie hat er nun als erwachsener Mann aber auch nicht mehr. Er studiert so vor sich hin, verabredet sich online zu flüchtigem Sex mit austauschbaren Männern, er wirkt abgestumpft, abgeklärt, gleichgültig.
Bald aber lernt er eine attraktive Katze in einer Bar kennen, mit der er zusammenzieht. Das Problem: Die Katze ist rassistisch, homophob und sadistisch. Ein richtig fieses Geschöpf, das sich wiederum von der Welt missverstanden fühlt:
Cats aren’t independent, they’re just lonely.
Ein schwuler Ex-Jugoslawien-Flüchtling, der im Jahr 2009 als Student in Finnland mit einer Schlange (als Haustier) und einer Katze (als Liebhaber) zusammenwohnt?
Genau das ist der erste Erzählstrang dieses Romans, der bei aller Symbolik im Grunde nichts anderes tut, als zu beschreiben, was aus einer Familie wird, die wegen Kriegs ihre Heimat verlassen muss und für immer verliert.
Denn in einem zweiten Erzählstrang geht es um die Geschichte von Bekims Mutter Emine – vom Jahr 1980 als junge Frau in einem kleinen kosovarischen Dorf bis zum Jahr 2009 in Finnland als alternde Mutter, die ihren Mann verlassen und kaum Kontakt zu ihren Kindern hat.
Statovci, der selbst mit seiner Familie vom Kosovo nach Finnland floh, als er zwei Jahre alt war, erzählt diese beiden Geschichten in abwechselnden Kapiteln jeweils in der Ich-Perspektive und verwebt so die Geschichte der Mutter mit der ihres Sohns.
Dabei werden mehrere Traumata deutlich: die Gewalt, die die Mutter in ihrer Ehe mit ihrem Mann Bajram ertragen muss und der auch Bekim als dessen Sohn ausgesetzt ist, die Kriegsangst, der Verlust der Heimat, die Ausgrenzung in einem fremden Land. Während Emine und Bajram in dem in jeder Hinsicht kühlen finnischen Alltag nie wirklich ankommen (dürfen), sind es ihre fünf Kinder, darunter Bekim als jüngster Sohn, die sich umso mehr anpassen und bald für ihre Eltern und ihre Herkunft schämen. Die zurückgelassenen Großeltern im Kosovo wiederum pochen bei jedem Besuch auf die Rückkehr der Familie.
(Achtung Spoiler: Wer das Buch noch lesen will, sollte jetzt nicht mehr weiterlesen.)
Es ist vor allem das Bild des Familienoberhaupts Bajram, das Statovci mit dieser Erzählweise Detail für Detail zusammensetzt, um es am Ende jäh zerfallen zu lassen. Aus einem despotischen Patriarchen wird ein neurotischer und verlorener alter Mann, der sich am Ende in den Mund schießen und töten wird.
Was Statovci erzählt, ist brutal. Es geht um Krieg und Verlust, um Depression und Agonie, um Rassismus und Homophobie. Aber es geht auch um Liebe und um Hoffnung. So zynisch das Buch zwischendurch klingt, so versöhnlich wirkt es oft auch.
Was die Geschichte so besonders macht, ist die Groteske, die diese erschütternde Flucht- und Familiengeschichte aufbricht und der feine Humor, der dabei immer wieder durchschimmert. Die Schlange und die Katze ziehen sich konsequent als Symbole durch, tauchen in ständig neuer Form auf, so dass sich allmählich erschließt, was damit gemeint sein könnte.
Steht die Schlange für die Ausgrenzung und Diskriminierung Bekims in der finnischen Gesellschaft? Und die Katze für die Homophobie in seiner Heimat Kosovo? Symbolisieren die Katze und die Schlange als klassische Antagonisten den Vater-Sohn-Konflikt? Oder den zwischen der klugen, aber ängstlichen Emine und dem tyrannischen, aber nicht unbedingt stärkerem Bajram?
Vermutlich wird jeder Leser die Geschichte ein wenig anders interpretieren. Auch diese Uneindeutigkeit zeichnet den Roman aus, der letztlich den Verfall Jugoslawiens auf seine ganze eigene Weise erzählt. (Emine heiratet Bajram übrigens am Todestag Titos, im Mai 1980.)
Als die Familie einmal die Verwandten im Kosovo besucht, will Bajram nicht fliegen, weil er glaubt, Flugzeuge fallen während des Flugs auseinander, weil sie so schnell sind. Die Familie nimmt also die Fähre von Helsinki nach Tallinn, von Tallinn den Bus nach Berlin, von Berlin den Bus nach Wien, und von Wien den Bus nach Pristina.
Die Tragikomik des Romans und seine Vielschichtigkeit gerade beim Thema Rassismus veranschaulicht die Beschreibung dieser Reise wohl am besten. Sie ist aus der Sicht des jugendlichen Bekims erzählt.
Erst geht es um Polen:
How forbidding and colorless Warsaw rose from the banks of the Vistula, how the sheer abundance of consonants in Polish caused me anxiety, every word sounding harsh and violent. And when I told this to my father, he explained that the Polish language is like that because the Polish people are like that, harsh and violent. They support Serbia and Russia. ‚Thank the Lord there’s only another two hundred miles of this godforsaken country.‘
Dann um Deutschland:
We arrived in Germany, where the roads had four lanes and were all brand-new, they smelled of fresh asphalt, and you could drive along them so fast that sitting in a bus suddenly felt even more frightening than all those Polish consonants.
Und schließlich um die Jugoslawien-Kriege:
When we arrived in Slovenia my father told us that many people had died here. And when we reached Croatia he said the same thing: many people had died here. And when we arrived in Bosnia my father told us that here is where the most people of all had died. And as we drove through Serbia my father said that many people died here – and a good thing it is too. People had died all around us, in Macedonia too, he said, in Albania, Bulgaria, and Greece.
So many people had died on this peninsula that it seemed as though my father wished to honor each and every one of them by using the world death as many times as possible.
Übrigens habe ich gleich an meinem zweiten Tag in Rijeka durch Zufall die kroatische Ausgabe entdeckt:
Nur auf Deutsch gibt es das Buch leider noch nicht zu kaufen. Aber angeblich hat sich ein Verlag schon die Übersetzungsrechte gesichert.
I like
Danke für diesen (ja gar nicht mehr so geheimen) Geheimtipp! Das Buch nehme ich auf meine Leseliste.
<3