Schon bevor ich nach Rijeka gekommen bin, habe ich seinen Kurzgeschichtenband In was wir uns verlieben verschlungen: Klar also, dass ich mir Roman Simić sofort geschnappt habe, als ich gesehen habe, dass der Autor beim Short Story Festival in Rijeka dabei sein würde.
Simić (48) zählt zu den bekanntesten Schriftstellern Kroatiens und wurde für sein Werk vielfach ausgezeichnet. In deutscher Übersetzung ist neben In was wir uns verlieben (das Hörbuch wird von Saša Stanišić gelesen) noch der Erzählband Von all den unglaublichen Dingen erschienen.
Auszeichnungen hin oder her, seinen Brotjob hat Simić als Lektor im Verlag Fraktura in Zagreb, wie er mir erzählt hat.
Natürlich hatte ich wesentlich mehr als nur drei Fragen an ihn …
Welches Buch hast du zuletzt gelesen?
The Lost von Daniel Mendelsohn (Anmerkung der Autorin: ein Memoir über Mendelsohns eigene Familie vor dem Hintergrund des Holocausts.) Wenn ich nicht arbeite, lese ich gerne Sachbücher.
Und in der Fiktion lande ich immer wieder bei Lucia Berlin. Ich mag ihre Themen, die ähnlich sind wie bei Raymond Carver – Einsamkeit, Alkoholismus, dysfunktionale Familien – aber ich finde Berlin fast noch besser als Carver, weil sie es auch schafft, witzig zu sein. Mit ihrem Humor erlöst sie nicht nur sich selbst, sondern auch den Leser. Ich jedenfalls vergebe mir immer wieder meinen eigenen schlechten Entscheidungen, wenn ich ihre Geschichten lese.
Sehr empfehlen kann ich außerdem den bosnischen Autor Semezdin Mehmedinović, von dem ich gerade wieder ein Buch lektoriert habe.
Welche Autoren beeinflussen dein Schreiben?
Von den Autoren, die ich mag, würde ich gar nicht unbedingt sagen, dass sie mich auch beeinflussen. Ich mag zum Beispiel auch Roberto Bolaño, aber ich könnte niemals so schreiben. Vielleicht finden sich in meinen Sachen am ehesten Spuren von J.D. Salinger, aber ich versuche, meine eigene Handschrift zu haben, so wie alle Autoren.
Woran arbeitest du derzeit?
Es ist eine Weile her, dass ich ein Buch für Erwachsene geschrieben habe. Da schlummert zwar irgendwas in mir, aber es kommt noch nicht raus.
In den letzten Jahren habe ich Kinderbücher gemacht, und der Unterschied zu den Büchern für Erwachsene ist, dass das Schreiben für Kinder die ganze Zeit Spaß macht, während das für Erwachsene ein Kampf ist, der eigentlich erst am Ende Spaß macht, nämlich dann, wenn man weiß: Man hat es geschafft.
Hast du eine Schreibroutine?
Ich bin ein langsamer Autor und finde es schwer, eine Routine zu haben, bei der ich, sagen wir, jeden Tag zur selben Zeit schreibe. Ich arbeite eher von Projekt zu Projekt.
Ich weiß noch, als ich studiert habe, hatte ich einen Mitbewohner, der den ganzen Tag auf seine Schreibmaschine eingehämmert hat, das hat mich richtig nervös gemacht. Jahre später habe ich ihm das erzählt, und er hat nur gelacht und gemeint, er hätte doch nur geübt, auf der Schreibmaschine zu schreiben.
Ich kann jedenfalls nur Aleksandar Hemon zitieren, der gestern beim Festival sagte: I consider myself only a writer when I’m writing. Es ist jedes Mal ein Kampf, man muss sich immer wieder neu beweisen, dass man es noch kann.
Wie lange brauchst du normalerweise für ein Buch?
Jahre, für jedes. Ich schreibe keine Outlines, ich plotte nicht vorher. Es ist eher ein Gefühl, das ich habe und das versuche ich dann in Worte zu bringen, aber ich weiß nie, wohin es mich führt.
Findest du es einfacher Kurzgeschichten zu schreiben als Romane?
Ja. Manchmal habe ich versucht einen Roman zu schreiben, und dann war es doch wieder nur eine Story.
Wie ist dein Ansatz bei Kinderbüchern?
Ich versuche etwas über die Ängste von Kindern herauszufinden, indem ich meine eigenen Kinder beobachte. Und dann fasse ich diese Gefühle in Worte, versuche aber auch eine Lösung anzubieten. Themen sind zum Beispiel Langeweile, eine große Angst von Kindern, oder auch Neid.
Würdest du sagen, es gibt etwas, das kroatische Literatur von der aus anderen Ländern unterscheidet?
In den Neunzigern hatten wir alle dieses eine große Thema – den Krieg. Und als Autor hatte man das Gefühl, man muss dazu irgendwie Stellung beziehen. Das heißt nicht, dass jeder die gleiche Antwort gefunden hätte, aber dass man eben eine darauf hatte. Heute ist das nicht mehr so, wir haben nicht dieses eine Hauptthema, sondern alle möglichen Ansätze.
Ich würde außerdem sagen, die kroatische Literatur ist Teil eines Mikrokosmos: In Serbien oder Slowenien haben die Autoren natürlich ihre eigenen länderspezifischen Einflüsse und Legenden, aber die Teile des früheren Jugoslawiens verbindet doch irgendwie ein gemeinsames kulturelles Erbe.
Wunderbar! Gut, dass Du ihn Dir geschnappt hast! Welch ein schöner, aufrichtiger Satz:
„In den letzten Jahren habe ich Kinderbücher gemacht, und der Unterschied zu den Büchern für Erwachsene ist, dass das Schreiben für Kinder die ganze Zeit Spaß macht, während das für Erwachsene ein Kampf ist, der eigentlich erst am Ende Spaß macht, nämlich dann, wenn man weiß: Man hat es geschafft.“