Ich stelle mir lieber vor …

Wie schreibt man über eine Stadt, in der man noch nie war und in die man (erstmal) nicht fahren kann? Bilder googeln? Wikipedia durchsuchen? Bücher lesen? Habe ich natürlich längst gemacht. Aber das ist so leblos! Ich stelle mir lieber vor: Rijeka ist ein Mann, den ich im Internet kennenlerne.

R. und ich – Teil 5 (Finale)

Hier geht es zu Teil 1, Teil 2, Teil 3 und Teil 4

Dobar dan, A.!

Selber guten Tag. Du lebst also noch.

Tut mir leid, dass ich so lange nicht geantwortet habe, ich war verkatert.

Zwei Wochen lang?

Ich war im Tunel.

Im Tunnel? Klingt nach Nahtoderfahrung.

Mit einem n. Ist ein Club.

Aha.

Das war früher mal ein Luftschutzbunker.

Und du hast jetzt trotzdem eine Bombe abgekriegt?

Partybombe, ja, haha.

Hättest ruhig mal schreiben können.

Wie gesagt, tut mir leid. Ich hab auch viel nach gedacht die letzten Tage …

Gleich sagt er, dass er eine andere kennen gelernt hat. Oder, dass das Internet in seinem Land abgeschafft wird und wir nicht mehr schreiben können. Wahrscheinlich sagt er das mit dem Internet. Ist einfacher.

Hast du eine andere?

Was, nein!

Wird das Internet in Kroatien abgeschafft?

Hast du getrunken?

Nur ein Glas Wein. Oder zwei. Aber worüber hast du nachgedacht?

Naja, über uns.

Und?

Ich war nicht ganz ehrlich. 

Bei der Lady Diana oder Prince Charles-Frage oder generell?

Generell. Also ich war auch nicht unehrlich. Ich hab nur nicht alles gesagt, was du wissen solltest.

Deswegen kein Foto?

Genau.

Am Ende ist er Kermit, der Frosch. 

Bist du Kermit, der Frosch?

Wenn du Miss Piggy sein willst?

Sehr witzig. Also, was musst du mir sagen?

Ich bin kein Mann.

Aber ein Frosch?

Nein! Ich bin eine Stadt!

Eine Stadt?!

Jetzt machen die komischen Antworten Sinn. Das hohe Alter, die vielen Eltern. Dass er keinen Beruf hat, dass er kein Foto schicken will.

Genau. Eine Stadt.

Kermit wäre schlimmer gewesen. Wobei.

Bist du Stuttgart???

Liegt Stuttgart etwa in Kroatien?! Und ich fang doch mit R an …

Stuttgart ist so furchtbar!

Keine Sorge. Ich bin ja eine kroatische Stadt!

Okay. Also, wie heißt du?

Ich habe mehrere Namen

So ein Angeber.

Fiume auf Italienisch, Reka auf Slowenisch, Szentvit auf Ungarisch, St. Veit am Pflaum auf Deutsch

St. Veit am Pflaum?! Du fängst doch mit R an!

Hat halt mit früher zu tun. Ja, stimmt mit R. Auf Kroatisch mit R.

Und wie heißt du auf Kroatisch?

Rijeka.

Das klingt schön. Aber was heißt das jetzt für uns, dass du eine Stadt bist?

Naja, wir können nicht heiraten, wir können keine Kinder kriegen, ich will mich nicht fest binden …

Stadt oder Mann — am Ende immer das gleiche.

Also eine offene Beziehung?

Müssen wir der Sache einen Namen geben?

Jetzt klingt er wie die Männer, die Selfies mit ihren sabbernden Hunden machen.

Jetzt klingst du wie die Männer, die Selfies mit ihren sabbernden Hunden machen.

So war das nicht gemeint. Du kannst mich jederzeit besuchen! Ich bin immer da, ich laufe nicht weg. Aber du hast mich nie ganz für dich allein.

Nicht mal ganz früh am Morgen? Bei einem Spaziergang? 

Eigentlich schon, aber du vergisst die Möwen. Ohne die Möwen geht es nicht.

Hast du denen eigentlich von mir erzählt?

Natürlich.

Und was hast du gesagt?

Dass ich eine Psychopathin beim Online-Dating kennen gelernt habe, die ein paar Sachen über mich gelesen hat und dann gleich eine billige Fortsetzungsgeschichte geschrieben hat, ohne mich zu fragen, ob ich das überhaupt will.

Und wie haben die Möwen reagiert?

Denen musste ich erstmal erklären, was das Internet ist. Sind ja Vögel.

Aber was Psychopathen sind, wussten sie?

Klar, sind ja Vögel.

ZWEI STUNDEN SPÄTER

Hallo? A.?

Ja?

Was ist denn nun?

Wie?

Besuchst du mich? Lernen wir uns endlich kennen?

A.?

Bist du noch da?

Ja. Und ich antworte mal auf Kroatisch: Da.

Ja? Du besuchst mich?

Ja!

Und wann?

Holst du mich am Sonntag vom Flughafen ab?

ENDE

4 Gedanken zu „Ich stelle mir lieber vor …“

  1. Ich werde den tiefgründigen Schlagabtausch vermissen, habe mich sehr amüsiert, schönes Ende übrigens! Aber ich freue mich auf die Fortsetzung vor Ort…Gute Reise!

    1. Nun geht’s also los ins Reale, nach der virtuellen Reise…. Wäre es nicht spannend zu erfahren wie der Dialog jetzt Vorort weitergeht, das bisher geschriebene macht Lust auf mehr….
      Gruss b V

  2. Liebe Alexandra,
    spannend – deine lebendige, humorvolle und kreative Auseinandersetzung mit der Stadt, ihrer Geschichte und Bewohner! Seit einer Woche bin ich als kulturweit-Freiwillige in Rijeka. Doch erst heute wurde ich von meiner Ansprechpartnerin auf deinem Blog gestoßen. Die folgenden Stunden habe ich dann damit verbracht, durch die Bandbreite an Beiträgen zu schmökern. Jetzt bin ich geplättet von all den Infos, aber auch neugierig, das ein oder andere selbst zu entdecken. Vielleicht läuft man sich ja einmal über den Weg. Das würde mich freuen. In jedem Fall werde ich mich digital an deine Fersen heften. In dem Sinne: Dovidenja!

    PS: Auch Stuttgart kann man lieben lernen 😉

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