Wie schreibt man über eine Stadt, in der man noch nie war und in die man (erstmal) nicht fahren kann?
Bilder googeln? Wikipedia durchsuchen? Bücher lesen?
Habe ich natürlich längst gemacht. Aber das ist so leblos!
Ich stelle mir lieber vor …
Rijeka ist ein Mann, den ich im Internet kennenlerne.
R. und ich – Teil 1
Als Profilbild haben fast alle Männer ein Rathaus. Die meisten klicke ich weg. Einer will originell sein und nennt sich Berlin. Sein Foto: ein Bär vor einem Fernsehturm. Das ist ja noch schlimmer als diese Typen, die Selfies mit ihren sabbernden Hunden machen.
Aber dann ist da R.
Eigentlich finde ich die Abkürzung prätentiös. R. will es wohl spannend machen und nicht gleich seinen Namen verraten. Sein Bild gefällt mir allerdings.
Wasser, Kräne, eine schmutzige Möwe, ist das ein Hafen?
Ich klicke auf das Herz — Match!
Ein Chatfenster öffnet sich.
Bok!, schreibt R.
Was?, antworte ich.
Ich meine Hallo, tippt R.
Woher kommst du?, frage ich.
Vom Meer.
Ostsee? Schreibfehler?
Adria. Kein Schreibfehler.
Adria? Wieso sprichst du Deutsch? Und woher kommt das Bok?
Ich spreche viele Sprachen.
Aha.
So ein Angeber …
Deutsch, Englisch, Italienisch, Ungarisch … und natürlich Kroatisch.
Du bist aus Kroatien? Bok ist Kroatisch?
Ist das ein Problem?
Nein, aber das ist so weit weg.
Liebe kennt doch keine Ländergrenzen.
Okay, ein Psychopath.
Wir kennen uns seit zwei Minuten.
Ich meine das eher so generell.
…
Hallo? Bok?
Bist du vielleicht ein Psychopath?
Weil ich so viele Sprachen spreche?
Wegen der Liebe.
Aber wir sind hier doch beim Online-Dating.
Na gut. Wir können ja ein bisschen reden. Es gibt gerade eh nichts zu tun.
Tja, auch ein Virus kennt keine Grenzen.
Ihr habt das blöde Virus auch?
Jedes Land hat es. Das nennt man Pandemie, meine Liebe. Aber lass uns über etwas anderes reden.
Na gut. Erzähl mir was von dir. Aber nenn mich nicht „meine Liebe“!
Ist ljubavi moja besser?
Was?
Kroatisch für „meine Liebe“.
Klingt ganz hübsch.
Warst du schon mal in Kroatien?
Nur einmal auf einer Insel, auf der alle glauben, dass Odysseus irgendwann dort war.
Ja, die Leute auf den Inseln sind ein bisschen seltsam.
Dann lebst du nicht auf einer Insel?
Nicht jeder Kroate lebt auf einer Insel, nur weil wir so viele davon haben!
Ja, ja, schon gut. Was anderes: Wie alt bist du eigentlich?
Alt.
40?
Älter.
50?
Älter.
Hm. So im Großvater-Alter?
Älter.
Im Urgroßvater-Alter?!
Älter.
Du hast den ersten und den zweiten Weltkrieg erlebt?
Die waren doch erst gestern, ljubavi moja. Ich hab mich schon mit den Römern betrunken.
Warum lerne ich immer nur Freaks kennen?
Dann bist du wirklich sehr alt.
Sagen wir: Es gab mich schon, bevor Jesus Christus aufgetaucht ist.
Oh.
Ist das ein Problem?
Nicht wirklich.
Sicher?
Du hast bestimmt mehr zu erzählen, als diese Typen, die Selfies mit ihren Hunden machen.
Oh, ich habe jede Menge zu erzählen! Aber für heute reicht es. Ich gehe jetzt spazieren und sehe nach den Möwen.
Jetzt macht er sich rar. Stammt vermutlich doch aus der Gegenwart.
Was heißt denn Möwe auf Kroatisch?
Galeb.
Wie dieses Schiff von Tito?
Das war eine Jacht. Aber davon erzähl ich dir ein anderes Mal. Nur eine Sache noch.
Was denn?
Wie heißt du eigentlich?
Nenn mich A.
Doviđenja, A.!
Doviđenja, R.!
(Doviđenja heißt Auf Wiedersehen?)
(Genau!)
Das war doch ganz okay.
Er ist vielleicht ein bisschen zu alt, aber er hat keine schlechten Witze gemacht und auch nicht von seinen Ex-Freundinnen angefangen.
Gut, das mit den Möwen ist ein bisschen komisch.
Aber vielleicht mag er einfach Vögel?
Fortsetzung folgt –
Hab beim Lesen Gänsehaut bekommen, so schön fand ich diese Idee und die Umsetzung….!
Liebe Ivonne,
dankeschön – bald läuft die Fortsetzung!
Viele Grüße